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Schleswig-Holstein

Elektronische Wildwarnanlage


An der Bundesstraße 202 geht das Land Schleswig-Holstein neue Wege in der Unfallprävention bei Wildunfällen.

Letzte Aktualisierung: 26.10.2021

Eine digitale Verkehrsanzeige mit Tempo 70.
Bei Wildwechsel schaltet die Anlage automatisch die LED-Tafeln ein.

Von über 2,4 Millionen polizeilich erfassten Verkehrsunfällen 2010 in Deutschland waren etwa 10% Verkehrsunfällen mit Wild. Dabei wurden 2.669 Personen verletzt, 500 davon sogar schwer, 20 Menschen starben bei Wildunfällen (laut Statistischem Bundesamt und ADAC).

Mit einer „Elektronischen Wildwarnanlage“ an der Bundesstraße 202 geht das Land Schleswig-Holstein neue Wege in der Unfallprävention bei Wildunfällen: An einer stark befahrenen Bundesstraße wird ein bestehender Wildschutzzaun an der Stelle geöffnet, an der das höchste Konfliktpotential zu erwarten ist, sprich: die höchste Querungswahrscheinlichkeit des Wildes. Dieser Querungsbereich wird elektronisch überwacht und die Verkehrsteilnehmer werden ereignisorientiert mit Warnzeichen auf eine Wildquerung hingewiesen.

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B 202: Rastorfer Kreuz

Das Rastorfer Kreuz im Verlauf der Bundesstraße 202 gehörte zu den besonderen Wildunfallschwerpunkten in Schleswig-Holstein. Die Straße verläuft an dieser Stelle zweistreifig in West-Ost-Richtung von Kiel nach Oldenburg in Holstein. Sie ist eine der wichtigen Verkehrsverbindungen in der Region mit einer Verkehrsbelastung von zirka 15.000 Fahrzeugen pro Tag. Der Kreuzungsbereich mit der Landesstraße 211 (Rastorfer Kreuz) ist höhenfrei ausgebaut und die Verkehrsgeschwindigkeit ist in diesem Streckenabschnitt nicht beschränkt. Aufgrund von 149 Wildunfällen in drei Jahren wurde 2004 bereits ein zirka zweieinhalb Kilometer langer Wildschutzzaun entlang der B 202 aufgestellt. In der Folge halbierten sich zwar die Unfallzahlen in diesem Abschnitt, verschoben sich jedoch zunehmend zu den jeweiligen Enden des Zaunes, da dieser die traditionellen Wanderachsen der Wildtiere unterbrach und ihren angestammten Lebensraum zerschnitt.

Konzept der Wildwechselwarnanlage

Zur Vermeidung dieser Unfälle wurde eine Verlängerung der Wildschutzzäune in Verbindung mit neuen Querungsbauwerken diskutiert. Brücke oder Tunnel sollte die trennende Wirkung des Wildschutzzaunes aufheben und den biologischen Austausch zwischen den verschiedenen Wildtierpopulationen ermöglichen. Nach intensiver Diskussion wurde ein neuer, innovativer Ansatz gewählt: die Öffnung des vorhandenen Wildschutzzaunes an zwei Stellen im Verlauf der historischen Wildwanderachsen. Die neuen Querungsstellen sollten elektronisch überwacht werden, Wildtiere werden, wenn sie sich der Straße nähern, über Sensoren erfasst und neue Wechselverkehrszeichen warnen die Verkehrsteilnehmer dann vor einer möglichen Gefahr eines Wildwechsels.

Das Gesamtkonzept besteht aus zwei unabhängigen, grundsätzlich gleich aufgebauten Einzelanlagen – jeweils eine westlich und eine östlich des Rastorfer Kreuzes. In diesen Bereichen ist der Wildschutzzaun auf beiden Straßenseiten jeweils auf einer Länge von 50 Metern unterbrochen. Ein zur Fahrbahn und zum Gelände offener ungefähr 20 Meter tiefer rechteckiger Bereich ist eingezäunt. Dieser von Bewuchs freigehaltene Bereich wird mit dynamisch arbeitenden Passiv-Infrarot-Sensoren überwacht. Vier Sensoren haben diese Flächen „im Blick“, während zwei zusätzliche „Vorhangsensoren“ das „Sensorfeld“ linienhaft parallel zur Fahrbahn abgrenzen.

Eine Kamera steht neben einer Öffnung am Zaun vor einem Maisfeld.
Die Kamera kontrolliert möglichen Wildwechsel.

Funktionsweise der Wildwechselwarnanlage

Die Sensoren registrieren Wildtiere von der Größe eines Kaninchens bis zur Größe eines Hirsches. Befinden sich Wildtiere in einem Sensorfeld, werden sie über die Temperaturdifferenz erkannt und ihre Bewegung erfasst. Das Tier im Sensorfeld löst Signale aus, die dann automatisch über Anzeigen auf den LED-Wechselverkehrszeichen vor einer möglichen Querung warnen. Damit Autofahrer rechtzeitig auf die Wildwechselsignale reagieren können, sind die Warnanlagen bereits 230 Meter sowie noch einmal 30 Meter vor den Wechselbereichen beiderseits der Bundesstraße aufgestellt. Die Anzeige „Wildwechsel“ ist mit einer Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 70 Stundenkilometer kombiniert.

Eine digitale LED-Tafel am Straßenrand, die Achtung Wild und Tempo 70 anzeigt.
Bei Wildwechsel schaltet die Anlage automatisch die LED-Tafeln ein.

Zur Erfassung und Dokumentation aller Ereignisse sowie zur Funktionsüberprüfung wurde die Anlage mit einer ereignisgesteuerten Videoüberwachung, Induktionsschleifen zur Messung der Verkehrsmenge und Geschwindigkeit sowie einer Speichereinheit ausgestattet.

Gitterroste zwischen dem Fahrbahnrand und dem Wildschutzzaun sowie an allen Einmündungen sollen das Einwechseln von Wildtiere in den Straßenraum weitestgehend verhindern. Sollten dennoch Wildtiere in den Bereich der Zaunanlagen gelangen, können sie diese Gefahrenzone durch sich nach außen öffnende Fluchttore und Aussprünge verlassen.

Erfahrungen

Die Wildwarnanlage wurde am 12. September 2011 in Betrieb genommen und bereits einen Tag danach wurde das erste Wild im Sensorbereich erfasst. Anderthalb Wochen später querte das erste Schalenwild die Bundesstraße. Sehr schnell wurde der alte Wildwechsel wieder angenommen und somit die Vernetzung der Lebensräume erfolgreich wiederhergestellt. Die positive Bilanz des ersten Betriebsjahres zeigt, dass nachweislich über 1.800 Tiere (Damwild, Rehe, Wildschweine, Hasen und Füchse) die Bundesstraße innerhalb der eingerichteten Wechselbereiche querten. Der wiederhergestellte Wildwechsel wurde von den Tieren angenommen und Wildbiologen erwarten in den kommenden Jahren eine Zunahme und Stabilisierung der Wildquerungen.

Durch das begleitende Monitoring wurden zudem erstmals in Deutschland die Wildquerungen videodokumentiert, so dass die Wildunfälle sowie die jeweiligen Unfallursachen analysiert werden können. Erfreulicherweise ging die Zahl der Wildunfälle im betrachteten Streckenabschnitt von ursprünglich rund 50 auf fünf pro Jahr zurück. Positiv können wir bilanzieren: Mit der Wildwarnanlage in Kombination mit den Wildschutzzäunen konnten die Unfälle um 90% reduziert werden.

Die Anlage funktioniert bisher störungsfrei wobei stationäre Verkehrszeichen als Klappschilder bei einem Ausfall der Anlage die Verkehrsregelungen übernehmen können. Eine derartige elektronische Wildwarnanlage ist grundsätzlich unabhängig von der vorhandenen Topographie und Straßengradiente einsetzbar, sie lässt sich nahezu problemlos in die örtlichen Gegebenheiten einpassen. Die Kosten liegen erheblich unter denen einer Tunnel- bzw. Brückenlösung. Das Pilotprojekt mit den zwei Wechselbereichen hat insgesamt rund 750.000 Euro gekostet. Das System ist insgesamt standardisiert und kann ohne wesentliche Änderungen auch an anderen hochbelasteten zweistreifigen Straßen installiert werden.

Bei der Errichtung der Anlage wurden ganzheitlich die Belange des Verkehrs, des Umweltschutzes und die wirtschaftlichen Interessen beim Bau und beim Betrieb verknüpft. Die Wildwarnanlage schützt Mensch und Natur, erhöht die Sicherheit auf den Straßen – volkswirtschaftlich rechnet sie sich durch die Reduzierung der Unfallkosten, emotional durch die Gewissheit, den Tieren wieder ein kleines Stück Lebensraum zurückgegeben zu haben.

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