In der Bezirkskriminalinspektion Kiel erinnert ein Ensemble aus einem Buntglasfenster und drei Namenstafeln an 269 im Zweiten Weltkrieg gefallene Polizeiangehörige. Jahrzehntelang wurde dieser Ort als Würdigung der erbrachten Opfer der Kieler Polizisten verstanden. Nachdem auffiel, dass unter den Namen auch bekannte nationalsozialistische Gewaltakteure gelistet waren, begann die Abteilung Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in Kooperation mit der Landespolizei die Hintergründe des „Ehrenmals“ und der Namen zu erforschen. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes sind in der Bezirkskriminalinspektion in Kiel ausgestellt. Die Ausstellung kontextualisiert den Gedenkort neu.
Es folgen eine historische Einordnung des Gedenkortes und seiner Entstehungsgeschichte, Hintergründe zur schleswig-holsteinischen Polizei und ihren Verbrechen im Nationalsozialismus sowie damit einhergehende Kontinuitäten nach 1945. Es werden Forschungsergebnisse zu Namen der Gefallenen aufgezeigt und diese werden Opferbiografien, wie die des Rechtsanwalts Friedrich Schumm, gegenübergestellt. Die Ausstellung gibt Impulse zur (Selbst-)Reflexion der Vergangenheit und dem Umgang mit polizeigeschichtlichen Gedenkorten. Sie stellt das damalige „Ehrenmal“ der heutigen Aufarbeitung gegenüber und fragt nach Erinnerungskultur und Verantwortung in der Gegenwart.
Um vor allem den Opfern des Holocausts einen Namen und einen Raum zu geben, werden hier fortlaufend Biografien geteilt, welche die Lebensgeschichten von Verfolgten und Ermordeten der NS-Zeit beschreiben.
Henriette Pins (*19.1.1876, † 25.4.1945) – Andacht 27.1.2021
Henriette Pins (geb. Baum) lebte in Herne und wurde 1942 von dort zunächst in das Rigaer Ghetto, drei Jahre später im April 1945 schließlich in das Arbeitserziehungslager Kiel-Hassee deportiert. Der Weg von Riga nach Kiel führte die 69jährige zunächst mit einem Schiff nach Hamburg ins Gestapo-Gefängnis Fuhlsbüttel. Knapp sieben Wochen später wurde Henriette Pins mit vielen weiteren Häftlingen am 12. April 1945 in mehreren Kolonnen von Hamburg auf einem viertägigen Marsch in das 85 Kilometer entfernte Arbeitserziehungslager Nordmark in Kiel-Hassee getrieben.
Hier ist sie am 25.04.1945 durch eine intravenöse Injektion mit Benzin ermordet worden, nur fünf Tage vor der Befreiung durch die Alliierten.
An ihr Schicksal erinnert ein virtueller Beitrag der Landespolizei auf der „IRemeber Wall – Yad Vashem“- sie ist nicht vergessen.
Quellen: http://www.jacob-pins.de/?article_id=507&clang=0; http://www.akens.org/ael-nordmark.html
Text: Zentrale Ansprechstelle Polizeigeschichte
Friedrich Schumm (*4.11.1901, † 1.4.1933) – Andacht 27.1.2022
Der am 04. November 1901 in Kiel geborene Jurist Friedrich Schumm stellt ein eindrückliches Beispiel für die Opfer des Nationalsozialismus in Kiel dar. Er wurde am 1. April 1933 in seiner Gefängniszelle des Polizeigefängnisses (heutige Bezirkskriminalinspektion Kiel) mit 25 Schüssen durch SA- und SS-Männer getötet.
Friedrich Schumm wuchs in Kiel gemeinsam mit seinen zwei Geschwistern bei seinen Eltern Georg und Hedwig Martha Schumm auf. Sein Vater war Inhaber eines Möbelgeschäfts in der Kehdenstraße sowie Mitbesitzer eines Geschäfts in der Wilhelminenstraße in Kiel. Er selbst studierte Jura und war Rechtsanwalt in Ostpreußen.
Am 1. April 1933 riefen die Nationalsozialisten zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Auch vor dem Möbelladen der Familie Schumm verhinderten SS-Männer das Betreten des Geschäfts. Als Friedrich Schumm dort eintreten wollte, kam es zu einer Auseinandersetzung mit den SS-Posten, wobei sich ein Pistolenschuss löste und einen SS-Mann verletzte. Nach kurzer Flucht, stellte sich Friedrich Schumm freiwillig der Polizeiwache in der Falckstraße und wurde in das Polizeigefängnis in der Blumenstraße (heutige Bezirkskriminalinspektion Kiel) gebracht. In der Bevölkerung verbreitete sich die Falschmeldung, Herr Schumm hätte einen SS-Mann getötet. Daraufhin wurde das Geschäft der Familie geplündert und verwüstet sowie Geld gestohlen. Eine wütende Menschenmenge sowie NSDAP-Kreisleiter Otto Ziegenbein und baldiger NS-Oberbürgermeister Walter Behrens forderten Schumms Auslieferung. Der amtierende Polizeipräsident Otto Graf zu Rantzau lehnte dies vorerst ab und wollte die Aburteilung des Gefangenen der Staatsautorität überlassen. Letztendlich bracuh Graf zu Rantzau allerdings unt er dem Druck der Masse und SA- sowie SS-Männer verschafften sich Zutritt zu Schumms Zelle. Dort ermordeten sie ihn mit 25 Schüssen. Die Männer wurden strafrechtlich nicht verfolgt.
Friedrich Schumm ist auf dem Friedhof in Westerröhnfeld der Rendsburger jüdischen Gemeinde beigesetzt worden. Georg Schumm, wurde vom angeschossenen SS-Mann auf 25.000 Reichsmark Entschädigung verklagt. Friedrich Schumms Frau sowie seine Geschwister konnten nach Palästina fliehen, seine Eltern starben im Konzentrationslager Theresienstadt.
Seit 2006 erinnern Stolpersteine in der Holtenauer Straße 59a in Kiel an das Schicksal von Friedrich Schumm sowie seiner Familie.
Die Polizei hätte Mittel gehabt, solche Geschehnisse zu verhindern. Diese Biografie zeigt auf, welche NS-Verbrechen in direkter regionaler Umgebung stattfanden. Besonders die Aufarbeitung der Geschichte der polizeilichen Institutionen, wie der heutigen Bezirkskriminalinspektion Kiel, ist dabei von großer Wichtigkeit.
Quelle: Stolpersteine in Kiel und Handreichung zur BKI
Text: Landespolizeiamt, ASAW
Louis Wartelski (*1879, † 28.9.1938) – Andacht 27.1.2023
Der jüdische Kaufmannssohn Louis Wartelski wurde 1879 in Königsberg geboren. Über Hamburg kam Louis Wartelski im Januar 1927 als Goldschmied nach Flensburg, wo er in der Norderstraße 43 eine kleine Goldschmiedewerkstatt eröffnete.
Louis Wartelski galt als fleißig, bescheiden und liebenswert. Sein privates Glück fand er mit Frieda Hansen, einer evangelischen Christin, mit der er zusammen in der Burgstraße 6 in Flensburg lebte.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten begannen auch gegen Louis Wartelski die unrechtsstaatlichen Schikanemaßnahmen. Aufgrund seiner Beziehung zu Frieda Hansen, die für die Nationalsozialisten hinsichtlich seiner jüdischen Wurzeln nach deren Rassegesetzen als „Rassenschande“ galt, wurde Louis Wartelski am 23.6.1938 in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Schwer gezeichnet kam er nach zehnwöchiger Haft wieder nach Flensburg zurück. Drei Wochen später drohte ihm die erneute Einweisung in das Konzentrationslager. Er folgte am 28.9.1938 einer Vorladung in das Polizeipräsidium Flensburg. In einem dortigen Dienstzimmer nahm er sich mit Zyankali das Leben.
Louis Wartelski wurde auf Veranlassung von Frieda Hansen auf dem jüdischen Friedhof in Westerrönfeld beigesetzt. Frieda Hansen selbst verließ Flensburg und zog nach Hamburg. Louis Wartelskis Werkstatt wurde geschlossen, sein Eigentum fiel an den Staat.
Seit 2003 erinnert ein so genannter „Stolperstein“ vor dem Haus Burgstraße 6 an Louis Wartelskis Schicksal.
Quelle: www.shz.de/lokales/flenburg/artikel/von-den-nazis-in-den-tod-getrieben-41094039
Text: Björn Stengel und Christian Kartheus, Polizeidirektion Flensburg
Wilhelm Goldstein (*7.3.1880, † 2.2.1943) – Andacht 27.1.2024
Der Kieler Wilhelm Goldstein war als Jude aufgewachsen und später zum evangelischen Glauben konvertiert. Nach der Reichspogromnacht am 9.11.1938 inhaftierte man ihn im Polizeigefängnis in der Düppelstraße, danach als „Schutzhäftling“ im Gerichtsgefängnis in der Gartenstraße. Im Konzentrationslager Auschwitz starb er 1943 laut offiziellen Unterlagen der Nationalsozialisten an „Herzversagen“. An seiner ehemaligen Wohnadresse Friesenstraße 15, heute Theodor-Heuss-Ring 79, erinnert seit 2013 ein Stolperstein an ihn.
"Wilhelm Goldstein war Zielscheibe des menschenverachtenden Rassenhasses der Nationalsozialisten. Er geriet in die Bürokratie des Terrors und war damit in Polizeigefängnissen staatlicher Willkür ausgesetzt, denn auch die damaligen Polizeibeamten halfen tatkräftig mit das System zu stützen“, erklärte Landespolizeidirektor Michael Wilksen. Mit einer Kranzniederlegung zum Holocaust-Gedenktag gedachte die Landespolizei Wilhelm Goldstein.
Text: Landespolizeiamt, LStB 4
Adolf Feybusch (*16.2.1876; † 19.1.1939) – Andacht 27.1.2025
Geboren in Fordon, Westpreußen, wuchs Adolf Feybusch in einer jüdischen Familie auf. Er und mehrere seiner Geschwister kamen während des Nationalsozialismus ums Leben.
Mit seiner ersten Ehefrau hatte Adolf Feybusch eine Tochter namens Herta. Seine zweite Ehe galt als eine sogenannte „Mischehe“, da seine Frau Alma Driller keine Jüdin war. Als er 1911 von Lübeck nach Kiel zog, trat er dort in die Israelitische Gemeinde ein. Nachdem er im Ersten Weltkrieg kämpfte, verwundet wurde und mehrere Tapferkeitsmedaillen erhielt, eröffnete er 1923 ein Schuhgeschäft. Als Kaufmann war er erfolgreich und führte mehrere Geschäfte. Später verlor er aufgrund der zunehmenden Diskriminierung von jüdischen Personen seine Arbeitsmöglichkeiten.
Nach der Reichspogromnacht vom 09.11.1938 wurde Adolf Feybusch von der Kieler Polizei in „Schutzhaft“ genommen, zuerst in das Polizeigefängnis in der Düppelstraße (heutiges 1. Polizeirevier Kiel) und dann in das Gerichtsgefängnis in der Gartenstraße (heutige Polizeidirektion Kiel) gebracht. Einige Tage später wurde er in das KZ Sachsenhausen deportiert, wo er circa einen Monat lang schwerste Zwangsarbeit verrichten musste.
Mit 62 Jahren starb er, einen Monat nach seiner Entlassung, an den Folgen der unmenschlichen Lebensbedingungen des KZs.
Sein Schicksal ist ein trauriges Zeugnis der Verfolgung und des Leidens vieler Jüdinnen und Juden, welches nicht vergessen werden darf.
Die Landespolizei nimmt tiefe Anteilnahme an dem Schicksal von Adolf Feybusch und blickt besonders am heutigen Tag einmal Mehr selbstkritisch auf die Historie der eigenen Organisation.
Quelle: https://www.kiel.de/de/kiel_zukunft/stadtgeschichte/_stolpersteine/biografien/feybusch_adolf_stolpersteine.pdf
Text: Landespolizeiamt, ASAW